Tettnang, katholische St. Gallus-Kirche
Im Jahre 2008 besuchten Michael Mauch und ich zum ersten mal die Tettnanger St. Galluskirche und besichtigten das rund 50 Register zählende Instrument. 2009 entschied sich die Kirchengemeinde im Zuge einer Ausschreibung für die anstehende Renovation unter vier Firmen für unser Konzept zur Sanierung der Orgel. Im Januar 2011 wurde die überarbeitete Orgel eingeweiht. Jeweils mit eigenem Vertrag übernahm Michael Mauch das Gewerk Technik, ich das Gewerk Klang.
Betreuender Sachverständiger war Udo Rüdinger aus Ravensburg.
Zur Verdeutlichung der Ausgangslage vor der Sanierung zitiere ich die Internetseite der Gemeinde:
www.kath-kirche-tettnang.de/de/kirchengemeinde/kirchenmusik/orgel.html
“Die Orgel der St. Gallus-Kirche wurde 1957 als Opus 282 der Fa. Albert Reiser, Biberach, erbaut. Im Zuge der Neugestaltung des Kirchenraumes und dem daraus resultierenden Ab- und Wiederaufbau wurde das Instrument 1993 provisorisch saniert und in seiner Klanglichkeit grundlegend verändert: Dem ursprünglich sehr zurückhaltenden und in seinen Grundzügen durchaus der Spätromantik erwachsenen Werk wurde eine dem Neobarock verpflichtete, in vielerlei Hinsicht überzeichnete Klanggestalt übergestülpt. Sowohl technisch als auch klanglich befand sich das Instrument zuletzt in einem besorgniserregenden Zustand.
Der im Jahr 2004 gegründete „Arbeitskreis Orgelumbau“ setzte sich zum Ziel, mittels einer gründlichen Überarbeitung das an sich wertvolle Instrument zu erhalten, damit es auch für die nachkommenden Generationen erklingen kann – zum Lobe Gottes und zur Freude und Erbauung der Menschen.
Technische Zuverlässigkeit und ein warmer und angenehmer Klang bei größtmöglicher stilistischer Offenheit waren wichtige Zielsetzungen des Umbaus; im Blick dabei immer auch die Begleitung der singenden Gemeinde und der Chöre. Alle brauchbaren Teile der Orgel, das sind ca. 80% der Pfeifen sowie das eigentliche „Herz“ der Orgel, die Windanlage, wurden wieder verwendet. Um den Anforderungen an ein modernes gottesdienstliches und konzertantes Spiel gerecht zu werden, wurde ein neuer Spieltisch erbaut.”
Die wesentlichen technischen Arbeiten im Überblick
- Ausreinigung der Orgel
- Erweiterung des Rückpositivgehäuses
- Überarbeitung der schlecht regulierenden und verschlissenen Windanlage, Einbau eines zusätzlichen Gebläses
- Ersatz der pneumatischen Ton- und- Registerstationen gegen Magneten
- Austausch aller defekten Bälgchen in den erhaltenen pneumatischen Stationen
- Konzeption und Anschluss eines neuen Spieltischs mit Setzeranlage, MIDI-Anschluss und eingebautem Orgamat mit Fernbedienung, zur Steuerung von Tönen und Registern aus der Orgel
- Aufdoppeln des Schwellkastens, Ergänzen von seitlichen Jalousien, Elektrifizierung der Schwellerbetätigung (MIDI-fähiges Schwellen)
- Einbau von Röhrenglocken
- Einbau einer Superausbau-Lade im Schwellwerk
Das Pfeifenwerk in der Orgel wurde, wie im obigen Zitat angeklungen, im Zuge der letzten Überarbeitung tiefgreifend umgebaut. So wurden fast alle Bärte der Innenpfeifen ab ca. 2’-Länge beseitigt, die Stimmrollen zugelötet und die Pfeifen ab 2 2/3’- oder noch frührer - auf Länge geschnitten. Dies betraf auch viele nun unstimmbare Zinkpfeifen, da Reiser 1957 erst ab 2’-Länge Zinn-Blei-Legierungen verwendete.
Das klangliche Ergebnis wurde zunehmend als problematisch empfunden. Unstrittig falsch war der nunmehr bei 450Hz liegende Kammerton, ein Umstand der seit der Überarbeitung das Musizieren mit anderen Instrumenten erheblich einschränkte.
Wie mit den Labialen so wurde auch mit allen Zungenregistern (bis auf die Oboe) verfahren: die Expressionen zugelötet und die Becher auf den neuen Kammerton abgelängt.
So galt es zunächst das ganze Pfeifenwerk in einen tieferen und stimmbaren Zustand zu bringen. Je nach später gewünschter Klangcharakteristik wurde individuell entweder aufwändig angelängt (vor allem im Principalchor des Hauptwerk), gerückt oder umgestellt. Alle Bärte wurden wieder angebracht, zuweit aufgerollte Stimmrollen verlötet. Die Hauptwerkszungen 16’ und 8’ so wie die Pedaltrompete 8’ erhielten je einen neuen Becher auf C. So konnten diese um einen Halbton gerückt und wieder mit einer richtig gesetzten Expression versehen werden.
Die Neuorganisation des Pfeifenwerks diente einem Ziel: Rückgewinnung originaler Klangstrukturen sowie Austausch nicht überzeugender Stimmen gegen neue, in diesem Raum besser geeignete oder vorher nicht vorhandene Klangfarben. Wo hier im Bestand unzureichende Substanz vorhanden war wurde also grundsätzlich über alle Registergruppen hinweg eingegriffen:
- Anlängen und Restaurieren von Principalregistern, auch Rücken oder Austausch zur Wiedererlangung eines kultivierten, vokalen Principalchors.
- Neuorganisation der Flöten in der Orgel durch Einbau einer Holzflöte 8’ ins Hauptwerk. Umstellung der vorher dort disponierten Rohrflöte als 4’ ins Rückpositiv an die Seite der (dort wieder eingebauten) Quintade 8’. Im Schwellwerk wurde die bestehende Rohrflöte 4’ durch eine Traversflöte ersetzt. Nun gibt es keine Verdoppelungen mehr, sondern je drei unterschiedliche 8’- und 4’- Flöten.
- Optimierung des Streicherchores durch den Austausch der 1993 ab c’ aller Bärte und Stimmrollen entledigten Viola di Gamba des Hauptwerks (ab fis°), Abstimmung der Farben von Gamba, Salicional, Schwebung und Quintade untereinander sowie die Ausintonation des engen Gemsbass im Pedal zu einem zarten Cello.
- Aufwertung des Zungenchores durch eine neue Posaune 16’ im Pedal mit Holzbechern und belederten Kehlen, umfassende Überarbeitung der Hauptwerkszungen (s.o.) und der Pedaltrompete, versehen des Dulcian 16’ mit Schiebehülsen, Auflöten von Deckeln bei der Oboe sowie die ganz neu eingebauten Register Trompette harmonique für das Schwellwerk und Cromorne im Rückpositiv.
- Stärkung der 32’ Basis durch eine Aliquotschaltung mittels Zusatzlade im Unterbau der Orgel, sowie Ansteuerung des Principalbass 16’ als 32’ ab c°.
- Oberflächensanierung alles Prospektpfeifen sowie Stabilisierung der beiden 16’-Principale in den großen Türmen durch je zwei neue, zusätzliche Raster. Abstützung der Pfeifen darauf über starke, gegen Rasselgeräusche mit Tuch ausgeschlagenen Doppelhaften mittles einstellbarer Keile.
Abschließend konnte auf dieser Basis durch aufwändige Intonationsarbeit ein in der Grundanlage des Instruments verwurzelter, eher romantisch als barock geprägter Klang angelegt werden, bereichert um neue Farben und charakteristische Einzelregister.
Die Zahl der Querkoppeln wurde auf das Nötige beschränkt, deren Nutzbarkeit durch den Superausbau im Schwellwerk deutlich verbessert.
So hoffen ich, das Pfeifenwerk respektvoll und dauerhaft instandgesetzt, die der Orgelanlage innewohnende Grundrichtung erkannt, aufgegriffen und nahtlos fortgeführt zu haben. Immer mit dem Ziel vor Ohren, einen in sich ruhenden, unforcierten und dabei ausgesprochen facettenreichen Klang zu erreichen.
Zu guter letzt sei an dieser Stelle noch dem Organisten und Kantor an St. Gallus, Georg Grass, gedankt. Ohne sein Engagement für die Orgel und ein verantwortungsvolles Sanierungsprojekt wäre dieses Resultat undenkbar. Mit ihm als kollegialem Ansprechpartner für uns Orgelbauer sowie seiner Rolle als Kommunikators zwischen Fachgremien und Gemeinde wurde all dies erst möglich. So dürfen wir hoffen, in Tettnang ein für gottesdienstlichen und konzertanten Gebrauch überzeugendes Instument hinterlassen zu haben, dass der Gemeinde wie seinen Spielern auf inspirierende Weise lange Jahre treuen Dienst leisten kann.
Musik auf dieser Orgel finden Sie unter "Lauschen"