Ev. Martinskirche Döffingen

Disposition

  • Ein Neubauprojekt der Firma Mauch
  • Ausarbeitung von Konzept, Konstruktion und Klanggestaltung: Tilman Trefz
  • Sachverständiger: KMD Prof. Volker Lutz, Stuttgart

Kuriose Geschichten gibt es immer wieder. Diese gehört sicherlich dazu.

Zunächst die Ausgangslage: Während der jüngst erfolgten Kirchenrenovierung wird die 60er-Jahre Chororgel von Walcker eingelagert und nicht wieder aufgebaut. Die Gemeinde hat den Chorraum im leeren Zustand „wiederentdeckt“ und will ihn nicht mehr hergeben. Wohin nun mit der Orgel?

Der Orgelsachverständige Prof. Volker Lutz wird gerufen. Gemeinsam mit einem Orgelbauer beraten sie die Gemeinde und ermitteln den Platzbedarf einer kompakten und schlanken Orgelempore an der Seite im Kirchenschiff.

In einem nicht mehr genau rekonstruierbaren Prozess passiert nun folgendes: Die ermittelte Grundfläche wird zwar beibehalten, jedoch auf nahezu quadratischen Grundriss umgerechnet und so gebaut. Helles Entsetzen beim Sachverständigen, Kopfschütteln bei den Orgelbauern. Aus Kostengründen ist ein Rückbau der Gemeinde nicht zu vermitteln.

Was tun?

Prof. Lutz empfiehlt einen Ideenwettbewerb, um aus dem unabänderlichen Platzproblem optisch und orgelbautechnisch das Beste zu machen. Drei Firmen dürfen Entwürfe einreichen. Das überzeugende Konzept kommt zur Ausführung, die Unterlegenen bekommen eine Aufwandsentschädigung.

Mit unserem Kollegen und Partner-Architekten Aaron Werbick formen wir unsere Orgel nach folgenden Grundideen:

  • Aufteilung des Volumens in ein großes, flaches, an der Wand (Hauptwerk und Pedal) und ein kompakt gebündeltes im Sichtfeld der Brüstung (Spieltisch und Rückpositiv).
  • Schlichte Formen und weiße Farbgebung für eine filigrane aber eigenständige Plastik.
  • Einbettung und Ausrichtung der klanglichen Ziele in das optische Konzept mit dem Ziel optimaler Symbiose: Eine Orgel mit knappem Pedal und Brüstungspositiv.
  • Wiederverwendung aller denkbaren Teile zur Kostensenkung.

Zum klanglich-technischen Konzept:

Zentral im Raum plaziert braucht die Orgel nur wenige aber ausgesuchte Stimmen, um in unmittelbarer räumlicher Nähe zur singenden Gemeinde musizieren zu können. Das Brüstungspositiv mit dem angeschobenem, gebrauchten Spieltischchassis ist im Grunde eine äußerst kompakte Truhenorgel und hängt mitten im Raum. Es enthält  den Fundus eines zerlegten Cornets, um Solostimmen ja nach Situation zusammenstellen zu können. Exklusivität erreichen wir, indem die Flöte 4’ in Holz gemacht wird, offen ab C und mit unaufdringlich frühromantischer Färbung. Sie steht auf optimale Weise zwischen ruhig-strömendem Klang und unaufdringlicher Schönheit. Den Prospekt bildet der neue Bass des Nasard 2 2/3’: Offen principalisch, aber schmäler labiert und hoch aufgeschnitten bindet er sich problemlos ein.

Der Spieler sitzt nun mit bester Sicht und dennoch nicht bloßgestellt mitten im Raum hinter dem Postiv. Dieses kann sich klanglich optimal entfalten, ohne den Organisten zu sehr „am Ohr zu liegen“.

Die Drehung des Spieltischs zur Gemeinde schützt auch vor zuviel direktem Schall aus dem Hauptgehäuse, so kann dort kräftiger intoniert werden.

Diese Hauptgehäuse macht seinem Namen nur bedingt Ehre insofern, als dass es mit schlanken 75 cm Tiefe auskommen muss, und sowohl Pedal als auch Hauptwerk beinhaltet. Das geht so:

  • Alles steht auf einer neuen, von der Seite zu stimmenden Lade in chromatischer Aufstellung.
  • Alles, was Platz braucht, muss weg: In den Prospekt, die großen Bässe in den Unterbau, die übernommene alte Windversorgung auf den Dachboden.
  • Es gibt intelligente Transmissionen ins Pedal, die immer nur eine sinnvolle Lage (zum Teil in der Oktave) aus dem Hauptwerk beziehen.

Die klangliche Umsetzung sieht im Prospekt einen schlanken Principal doux 8’ vor. Die tiefsten Pfeifen stehen nach unten versetzt seitlich, ab 6’ Länge in Korrespondenz zum 3’ Prospekt der Brüstungsorgel in der Front. Die große Oktave wird vom Violonbass 8’ im Pedal mitverwendet, dort aber von c° an eigenständig fortgeführt.

Die tiefen Principale gehen also bereits in die fein-streichende Richtung und schlagen die Brücke zu romantischen Klangfarben. Für die dunkle Sättigung des Klangbilds ist die Rohrflöte im Bass bis f° als weites Holzgedeckt ausgeführt, entfaltet erst nach und nach ihre farbenfrohe Charakteristik. So können wir den Subbass ab c° aus der Rohrflöte ziehen, ohne im Übergang zur klanglich entscheidenden großen Oktave irgendeinen Kompromiss eingehen zu müssen.

Diesen kontrastierenden Grundstimmen ist klanglich und räumlich „nur“ ein zerlegtes Prinzipalplenum beigegeben, eng bezogen auf und bei Bedarf zu ergänzen durch die Farben des zweiten Manuals.

Resümee

Die technische Umsetzung stellte Michael Mauch und mich vor große Schwierigkeiten und Herausforderungen. In knapper Zeit galt es, die optischen, technischen und klanglichen Ziele in Einklang mit den finanziellen Möglichkeiten und räumlichen Gegebenheiten zu bringen. Wir hoffen sehr, mit unserem Ansatz den besten Mittelweg gefunden zu haben, ohne dabei Mittelmaß zu schaffen.

Vor Ort genossen wir die beste Unterstützung: Schlosser und Schreiner aus der Gemeinde arbeiteten mit uns Hand in Hand, es gab einen täglich frisch gedeckten Kaffeetisch unter der Empore und großes Interesse und Begleitung durch die Gemeindeglieder.Allen voran hat aber Pfarrer Martin Süßer das Projekt gefordert und gefördert, und mit seinem Idealismus und ausgleichenden Wesen alle Klippen umschifft. Vielen Dank also an alle Genannten von unserer Seite!